Im Leichenwagen durch Bielefeld: Yoko Onos umfassende Werkschau



Die meisten Menschen, die in einem Leichenwagen mitfahren, tun das nur einmal, meistens auch, ohne die Fahrt richtig genießen zu können. Wer dieser Tage nach Bielefeld kommt, kann eine Lebendtour vorziehen.

Vor der Kunsthalle steht ein Leichenwagen, 38 Jahre alt, mit dem man sich – sitzend – durch die Stadt fahren lassen kann. Yoko Ono will es so. „Ride a Coffin car all over the City“ regte die japanische Künstlerin bereits 1962 an. Jetzt ermöglicht die Kunsthalle Bielefeld ihren Besuchern genau das – im Sinne der onoschen Aufforderung, „die andere Seite“ zu erleben.Und schon sind wir mitten im Konzept-, Aktions- und „Fluxus“-Kunstkosmos, in dessen Mittelpunkt sich die heute 75-jährige Künstlerin in der Sechzigern bewegte.
Nicht nur der alte Leichenwagen wartet vor dem Eingang. An zwei „Wish Trees“ haben Bielefelder Schulklassen auf weißen Kärtchen ihre Wünsche aufgehängt. Und dann ist da noch das Plakat mit den Worten „Imagine Peace“. Stell dir vor, es wäre Frieden! Aber das Plakat will auch sagen: Stell dir überhaupt etwas vor, denk mit, lass dich inspirieren! „Between the Sky and my Head“ ist der Titel der Ausstellung. „Imagine Peace“ ist ihre Inspiration.
Natürlich kommt man nicht umhin, bei dieser Wortkombination an Onos berühmten Gatten zu denken, dessen Coffin-Car-Ride mittlerweile auch schon 28 Jahre zurückliegt. Doch wer Yoko Ono bislang als John Lennons Frau oder auch als zersetzende Kraft zwischen den Beatles zu kennen meint, bekommt bei dieser umfassenden Retrospektive in Bielefeld eine Ahnung davon, warum der Musiker sich von der Künstlerin so sehr in den Bann ziehen ließ.
Auf den geräumigen Ebenen des Philip-Johnson-Baus – für die Ono-Schau
hat die Kunsthalle alle Etagen leer geräumt – begegnet einem eine Kunst voller Energie, die nicht einfach im Museum wartet, sondern den Besucher geradezu anzuspringen scheint und ihn ankickt, einzusteigen und mitzufahren. Die Kunst entsteht hier nicht nur im Auge des Betrachters, sondern in seinem Kopf und unter seinen Händen.Bereits im Foyer holt einen die Sonne ab. Fasziniert von den Strahlen, die durch ihr Fenster drangen, hat Ono die Sonne greifbar gemacht. Mit hundert weißen Schnüren, die die offene, 14 Meter hohe Treppenarchitektur in einem Strahlenkranz durchziehen.
Man wird also auf seinem Weg durch das Museum von der Sonne begleitet, mehr noch: Man geht ihr entgegen. Der Himmel ist zwar hier die dunkle Kunsthallendecke, an der die Schnüre befestigt sind. Doch sich den Himmel vorzustellen, kann man nirgends besser lernen als in einer Ausstellung von Yoko Ono, ist es doch eines der zentralen Motive ihres Schaffens. Zwischen „Sky“ und „Head“ spielt sich auch in Bielefeld vieles ab.Mit einer goldenen Leiter will sie den Weg in den Himmel ein Stück verkürzen, auf Monitoren gibt es während der Schau eine ständige Liveübertragung des Himmels, so, wie er über Bielefeld gerade aussieht. Ein „Blauer Raum“, der eigentlich gar nicht blau ist, soll den Himmel dagegen nur anhand einiger Wörter und Sätze an der Wand ganz im Kopf entstehen lassen.
Die Vorstellung des Himmels. Imagine. Spätestens hier darf man sich ruhig eingestehen, dass man die ganze Zeit diesen Lennon-Song im Kopf hat, dass er einen wie ein Soundtrack durch die Schau begleitet, dass er als Vorstellungs- ein Ausstellungsobjekt ist.Doch so wolkig geht es nicht überall zu. Wie jedes Best-of ist auch diese Werkschau ein heterogenes Mosaik mit vielen Klassikern. Manchmal geht’s bei aller Imagination richtig körperlich zu. Wie bei Onos 40 Jahre altem Film „Fly“, bei dem eine Fliege in Nahaufnahme einen weiblichen Körper erkundet. Ein begehbares „Family Album“ zeigt Gegenstände wie Schuhe, Spiegel oder eine gedeckte Tafel, in Bronze gegossen und mit Blut befleckt. Die Objekte sollen auf die familiäre Gewalt gegen Frauen hinweisen. Diesen Frauen sind auch drei Sandhügel im ersten Stock gewidmet, die wie spitze Gräber anmuten. Die Erde stammt aus einer Baustelle vor dem Museum. Nun wächst Unkraut aus einem Haufen, man hat überlegt, ob das Teil des Kunstwerks sein darf – und sich dafür entschieden, die Pflanzen auf den Totenhügeln leben zu lassen.
Auf Glasflaschen mit destilliertem Wasser hat Ono Namen geschrieben von Menschen, die sie in ihrer Eigenschaft, körperlich im Wesentlichen aus Wasser zu bestehen, auf eine Stufe (oder hier auf ein Regal) stellt. Max Ernst, David Bowie und Jean-Paul Sartre stehen da. Hitlers Flasche steht neben der des schwarzen Rappers 50 Cent.
Jedenfalls in Bielefeld. Aber wie so viele Aktionskunst-Werke Onos ist auch dieses ein bewegliches. Besucher können Vorschläge machen, wer in die Flaschengalerie aufgenommen werden sollte.Nicht zum Mitmachen ist das große Marmorschachspiel im Foyer. Es wäre auch schwierig: Alle Felder, alle Figuren sind weiß. Freund und Feind sind nicht zu unterscheiden. Alles wirkt so friedlich. Imagine Peace. Wer das hier nicht schafft, fährt zur Strafe eine Runde im Leichenwagen durch Bielefeld.
Bis zum 16. November in der Kunsthalle Bielefeld. Infos:
http://www.kunsthalle-bielefeld.de/. Am 10. September um 19 Uhr kommt Yoko Ono zum Künstlergespräch. Infos: (05 21) 3 29 99 50 19.


von Uwe Janssen
Quelle:haz.de

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