Cynthia Lennon im Tagesspiegel online Interview vom 1.August 2010



Love and peace? Da muss Cynthia Lennon lachen. Zu Hause erlebte sie ihren John so: als eifersüchtigen Macho. Seine anzüglichen Liebesbriefe hat sie verkauft.



Darf ich eine rauchen?



Gern.



All I need is an ashtray!



Wann haben Sie mit dem Rauchen angefangen?



Spät. Ich war immer ein braves Mädchen, bis die Beatles kamen.



Sie sind John Lennon 1958 zum ersten Mal begegnet?



Ja, ich war 18, und er war 17. Wir studierten beide am Liverpool Art College.



Liebe auf den ersten Blick?



Ich hab’ mich eher gefürchtet vor ihm. Er sah aus wie ein Rocker, wollte schon damals ein Rebell sein. Mein eigenes Leben war ruhig und beschaulich, brav.



Fasziniert hat er Sie trotzdem?



Ja, er war wild und anders – und doch hatte er Ähnliches erlebt wie ich. Ich habe meinen Vater mit 17 verloren, er seine Mutter. Ich fand heraus, dass das der Grund war für seine Aggressionen, seinen Schmerz und auch für seinen boshaften, zynischen Humor, den ich nie verstanden habe. Alle anderen konnte er damit zum Lachen bringen, weil niemand sonst gewagt hätte, so zu reden.



Haben Sie vorher schon Rock ’n’ Roll gehört?



Nein. Mein Bruder war Konzertpianist, als junges Mädchen hab’ ich ihm immer vom Bett aus zugehört, wenn ich schlafen ging und er noch übte. Ich habe in einem Kirchenchor gesungen, meine Mutter und mein Vater traten als Gesangsduo auf. Zu Hause gab es klassische Musik, auch Frank Sinatra, West Side Story. Erst John Lennon brachte Elvis in mein Leben. Heartbreak Hotel.



Hat er Sie zu Konzerten mitgenommen?



Nein, solche Konzerte gab’s damals gar nicht. John hat selber immerzu gespielt. Als er noch Student war, kamen Paul und George oft in der Mittagspause vorbei. Die beiden waren damals noch Schuljungs mit Mützen und Uniformen. Sie hatten ihre Gitarren dabei, haben Fish ’n’ Chips geholt, sich auf den Boden gesetzt und Musik gemacht.



Was haben sie gespielt?



Buddy Holly und Elvis, so nett und unschuldig. Samstags fand im Keller der Kunstakademie immer ein Jazz-Abend statt. Von dem Moment an, als die Beatles anfingen, gab es dort nur noch Rock ’n’ Roll. Genauso war es im „Cavern“ ...



… dem legendären Liverpooler Kellerlokal, in dem die Beatles am Anfang ihrer Karriere regelmäßig auftraten.



Die Auftritte fand ich toll! Diesen Schauer zu spüren, wie sich die Nackenhaare aufstellten.



Ahnten Sie damals, dass die Beatles groß rauskommen könnten?



Nein. Sie waren doch noch Teenager, die einfach Musik liebten. Die Nachkriegszeit war hart, niemand hatte Geld, das Leben war recht eintönig. Dann kam die Musik aus den USA im Radio, und es war aufregend, unter der Bettdecke die neuesten Klänge zu hören. Unsere Kindheit war sehr beengt, plötzlich öffnete sich die Welt.



Wie stellten Sie sich damals Ihre Zukunft vor?



Ich bin davon ausgegangen, dass ich einmal die Familie ernähren muss. Deshalb war ich auf der Kunstakademie ziemlich fleißig, ich wollte Lehrerin werden. In der Nacht, bevor ich mein letztes Lehrerexamen machen musste, kam John aus Hamburg zurück. Ich glaube, das war die Nacht, in der Julian gezeugt wurde.



Sie wohnten noch zu Hause?



Ich hatte ein kleines Ein-Zimmer-Apartment mit Bett, Tisch und Kochgelegenheit, mein Vater war gestorben und meine Mutter war weggegangen, um in Kanada als Kindermädchen für meinen Cousin zu sorgen. Sie hatte Sorge, mich alleine zurückzulassen, ich habe gesagt: Bitte, Mom, geh nur, ich komme hier schon zurecht. Das gab mir Freiheit. Und dann wurde ich schwanger. Das war 1962. Ich fiel auch noch durch meine letzte Prüfung und es war vorbei mit meiner Lehrerkarriere.



Hat John Ihnen Liebesbriefe geschrieben?



Unmengen, ja, aus Hamburg. Ich habe etliche verkauft, weil ich kein Geld hatte. Mein Sohn Julian kauft sie jetzt wieder zurück.



Sie lachen! Was hat er denn so geschrieben?



John war ziemlich gut darin, anzügliche Briefe zu schreiben. Bevor ich sie verkauft habe, musste ich ganze Passagen rausschneiden.



Handeln Beatles-Liebeslieder von Ihnen?



Keine Ahnung. Die frühen Songs, zum Beispiel „I Want To Hold Your Hand“, hatten vielleicht ein bisschen was mit mir zu tun. Vielleicht aber auch mit irgendeiner anderen Freundin.



Mit irgendeiner anderen Freundin? Wie bitte?



Seitdem er tot ist, rufen mich immer wieder Frauen an und sagen: „Hey Cyn, ich würde dich so gerne treffen, ich hatte eine Affäre mit John, als ihr verheiratet wart.“ Manchmal ist das britischen Zeitungen auch eine Titelgeschichte wert mit der Schlagzeile „Ich würde so gerne Cynthia treffen, wir haben viel gemeinsam“. Super Sache! Nein, im Ernst: Ich war total naiv, ich habe nie gedacht, dass er mich betrügt.



John zog als Rocker nach Hamburg und kam als Beatle mit Pilzkopf-Frisur wieder. Fanden Sie das seltsam?



Ach wissen Sie, nichts konnte John verändern. Ob er eine Frisur hatte wie ein Teddyboy oder einen Pilzkopf – John war John und blieb John. Ich fand, die Jungs sahen mit Pilzkopf freundlicher aus.



1964 waren Sie mit den Beatles in den USA.



Ja, auf der ersten Amerika-Tournee. Das war zu der Zeit, als ich als Ehefrau von John bekannt wurde.



Damals gab es in der Presse ein Foto von Ihnen und John, irgendwo am Strand in Badekleidung.



Das war in Miami. Irgendein Mafiaboss hatte uns eine Villa zur Verfügung gestellt, damit wir uns ein bisschen vom Wahnsinn der Tournee erholen konnten. Wir sind Wasserski gefahren.



Wie haben Sie den Wahnsinn erlebt?



Verrückt, irrational. Man wird mitgerissen wie in einem Strudel, kommt gar nicht dazu, nachzudenken, überall tausende kreischende Menschen, Polizeieskorte, wir hatten gar keine Kontrolle mehr über das, was passiert. Aber es war gut. Zum Frühstück im Plaza Hotel gab es Papaya. So was bekam man nicht in England! Und dann ging’s zur Ed-Sullivan-Show. Wir fuhren mit einer großen Limousine. John hat versucht, mich rauszuschieben aus dem Wagen zum Eingang der Show, das ging nicht, weil überall tausende Fans waren. Schließlich hat mich ein Polizist zur Show tragen müssen.



Haben Sie auch andere Prominente getroffen?



Muhammad Ali in Miami zum Beispiel. Das Beste war, wie wir einmal in einen Fleischtransporter steigen mussten, um inkognito irgendwo hinzukommen. Wir stiegen in den Laderaum dieses Transporters mit Kühlfächern und Fleischerhaken. Der Fahrer bekam dann Panik wegen der Fans und trat das Gaspedal durch bis zum Anschlag. Ich konnte mich nicht richtig festhalten. Wir reden hier von Glamour, oder? Ich hatte nach der Fahrt lauter Schrammen.



Nach der US-Tournee sind Sie und John in der Nähe von London in eine Villa mit 16 Zimmern gezogen. Davor haben Sie in einer kleinen Wohnung gelebt.



Mit den riesigen Zimmerfluchten konnten wir gar nicht umgehen. Erst mal wohnten wir unter dem Dach, weil der Rest des Hauses renoviert wurde. Wir hatten mehr Spaß dort oben als später im übrigen Haus.



Wie muss man sich das Familienleben der Lennons vorstellen?



Ganz normal. Ich hab die Dinge gemacht, die Mütter eben so machen: Julian zur Schule bringen, für ihn kochen. John war meistens auf Tournee. Wenn er zu Hause war, hat er fast nur geschlafen, er war völlig kaputt. Manchmal hat er sich aufgeregt über Julian, etwa weil der nicht ordentlich mit Messer und Gabel aß. Ich habe dann zu John gesagt: Wenn du öfter da wärst, wüsstest du, dass Dreijährige noch nicht mit Messer und Gabel essen!



John Lennon, der Rebell, regte sich über so was auf?



Das hatte er wohl von seiner Tante Mimi, bei der er aufgewachsen ist. Die achtete sehr auf Tischsitten. Ich denke, John war einfach frustriert, dass er so wenig Zeit mit Julian verbringen konnte. Wenn er dann da war, dachte er offensichtlich, es gehört sich für einen guten Vater, streng zu sein.



Gehörte zum guten Vater auch, zum Einschlafen Lieder vorzusingen?



Nein, das hat er erst später mit Sean gemacht, dem Sohn, den er mit Yoko hatte. John hatte aber auch bei mir schon seine Gitarre immer griffbereit, manchmal stand er nachts auf, schrieb eine Liedzeile auf oder probierte eine Melodie am Klavier aus. Unter dem Dach hatten wir ein kleines Studio eingerichtet. Oft hat er nach ein paar Stunden runtergerufen: „Cyn, komm hoch und hör dir das an!“ Ich habe dann meinen Kommentar dazu gegeben und versucht, weiterzuhelfen, wenn er irgendwo feststeckte.



Dafür hat er dann mal den Müll rausgebracht?



Machen Sie Witze? Er war ein Mann aus dem Norden Englands.



Das bedeutet?



Er war ein Macho!



Klingt nach eher schwierigem Zusammenleben.



Es ist nie einfach, mit Künstlern zusammenzuleben, weil sie so kreativ sind. Kreative Personen müssen alles tun, um diese Kreativität zu schützen und zu fördern. Ich habe versucht, ihm dafür Raum zu lassen.



John hat 1971 in einem Interview gesagt: „Wir waren vier verdammte Arschlöcher.“



Das hat John gesagt? So viel Selbstkritik?



Muss man ein Arschloch sein, um ein großer Künstler zu werden?



Man muss absolut auf sich selbst bezogen sein, darf sich nicht ablenken lassen. Ich bin eher jemand, der sich um andere kümmert. Ich hatte immer Träume, auch ein bisschen Talent. Wahre Künstler wie John oder Bob Dylan sind komplette Egomanen.



Würden Sie sich noch mal auf John einlassen?



Nein. Wir hätten auch damals nur Freunde bleiben sollen. Andererseits hätte ich dann Julian nicht bekommen. Und Julian ist das Wichtigste in meinem Leben.



Waren Sie nicht ständig eifersüchtig bei all den kreischenden Mädchen?



Zum Glück nicht. Eifersucht ist furchtbar. John war eifersüchtig. Einmal hat er mich sogar geschlagen, weil ich mit einem Freund von ihm getanzt habe. Diese Ohrfeige war wirklich zu viel, ich habe dann Schluss gemacht. Er hat sich entschuldigt und war auch ehrlich entsetzt, wie er so etwas hatte tun können. Nach ein paar Monaten Auszeit waren wir wieder zusammen.



Wann kamen die Drogen ins Spiel?



Eines Tages tauchte ein Amerikaner mit einem Koffer voller Kokain auf. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein Zeug ist. Meine Mutter kam manchmal zu uns und passte auf Julian auf, einmal hat sie diese Fläschchen mit dem weißen Zeug gefunden. Und sie war ja nicht blöd – sie hat alles ins Klo geschüttet. Wahrscheinlich hat sie das ganze Viertel unter Drogen gesetzt, so viel hat sie da ins Grundwasser gekippt. John war total sauer, traute sich aber nicht, etwas zu sagen, weil er meiner Mutter gegenüber nicht zugeben wollte, dass er Drogen im Haus hat.



Später kam LSD dazu. Hat sich das in der Musik niedergeschlagen?



Ja. „Sgt. Pepper’s“ war sehr von LSD inspiriert oder „Magical Mystery Tour“. Alle berühmten Musiker haben Drogen genommen, um ihre Fantasie zu stimulieren. Das muss wohl so sein. Aber nach einer Weile zerstört die Droge die ursprüngliche Kreativität, weil die Leute denken, sie könnten mehr, als sie eigentlich können.



Haben Sie auch LSD versucht?



Einmal hat mir jemand LSD in meinen Kaffee gekippt, ohne dass ich es wusste. Ein Albtraum. Ein paar Mal hat John drauf bestanden, weil er nicht wollte, dass ich außen vor bin, wenn alle anderen mitmachen. Ich habe nur Dinge gesehen, die ich im Leben nicht sehen wollte. Erschreckend war auch, dass ich an John überhaupt nicht mehr rankam, wenn er LSD genommen hatte. Er war dann völlig in einer anderen Welt. Es kamen nur noch so Sprüche wie: „Oh ja, love and peace“. Das war natürlich pure Illusion.



Haben Sie da nie dran geglaubt?



Ich glaube an Liebe und an Frieden. Aber vor allem im nüchternen Zustand.



Gehen Sie heute zu Paul McCartneys Konzerten?



Ich kann ihn mir auch zu Hause anhören. Außerdem würde er mich nicht einladen. Julian war neulich auf einem seiner Konzerte in London. Hinterher hat er Paul getroffen, und der hat erst theatralisch gerufen: „Oh, mein Stiefsohn!“, ihn dann aber schnell links liegen gelassen.



Sie haben nach der Scheidung den Namen Lennon lange nicht abgelegt – obwohl Sie erneut heirateten?



Ich musste Geld verdienen. Von John bekam ich einmalig 100 000 Pfund und 2500 Pfund im Jahr für Julian. Das war alles.



1968 waren 100 000 Pfund immerhin etwa eine Million D-Mark ...



... und ich war 27, das Geld sollte fürs ganze Leben reichen. Die Inflation eingerechnet, deckte die Summe die einfachsten Ausgaben nicht. Mit meinem Mädchennamen Cynthia Powell hätten die Restaurants, die ich aufmachte, oder meine Parfümfirma nicht funktioniert. Erst seit meiner vierten Ehe heiße ich Cynthia Charles.



Heather Mills hat sich von ihrem Ex-Ehemann Paul McCartney 32 Millionen Euro Abfindung erstritten. Ärgert Sie das?



Wir leben heute in einer anderen Zeit. Außerdem habe ich John nicht wegen des Geldes geheiratet. Er hätte von mir aus auch Straßenmusiker werden können.



Sprechen Sie gerne über Ihre Zeit mit John Lennon in der Öffentlichkeit?



Nein, und auch nicht oft.



Weil die Erinnerungen noch wehtun?



Nein, aber es ist die Vergangenheit. Reden wir nächstes Mal lieber über die Gegenwart. Vielleicht übers Kochen? Ich kann gut kochen. Julian übrigens auch.



Zur Person



Cynthia Lennon, 70, war die Jugendliebe von John Lennon und sechs Jahre mit ihm verheiratet;ihr gemeinsamer Sohn Julian ist auch Musiker geworden. Cynthia hat miterlebt, wie aus Liverpooler Schuljungs plötzlich Weltstars wurden. Sie lebt mit ihrem vierten Ehemann seit vielen Jahren auf Mallorca.
Quelle:

Keine Kommentare: